8. Mai 2017
Das Parlament behandelt dieses Jahr die Revision des Bundesgesetzes über das öffentliche Beschaffungswesen (BöB). Im Rahmen des Open Hearings [1] der Parlamentarischen Gruppe Digitale Nachhaltigkeit haben unterschiedliche Akteure ihre Standpunkte dargelegt. Aus Sicht von CH Open sind Anpassungen am Beschaffungsgesetz nötig, damit heutige Missstände – fehlende Transparenz und Chancengleichheit – adressiert werden. Falls das Gesetz da nicht Abhilfe schafft, prüft CH Open den Weg einer generellen Beschwerdemöglichkeit für ihre Mitglieder.
Das Beschaffungswesen der öffentlichen Verwaltung hat mit einem Umfang von jährlich rund 36 Milliarden Franken eine grosse volkswirtschaftliche Bedeutung. Mit der bevorstehenden Revision des Gesetzes sollen unter anderem die unterschiedlichen Auslegungen der WTO-Übereinkommen bei Bund und Kantonen harmonisiert werden. Weiter sind umstrittene Neuerungen geplant: Der Ausschluss des Öffentlichkeitsgesetzes sowie der zusätzliche Spielraum für freihändige Vergaben bei Ausschreibungen über dem Schwellenwert. Falls diese Punkte in das Gesetz einfliessen, drohen Schweizer IT KMU faktisch aus dem Markt gedrängt zu werden.
Öffentlichkeitsgesetz soll ausgeschlossen werden
Alle Unterlagen einer Ausschreibung sollen neu der Geheimhaltung unterstehen. Damit würde das Öffentlichkeitsgesetz im neuen BöB ausgehebelt. Nach der Meinung des Bundesrats genüge es, wenn Ausschreibungen und Zuschläge publiziert werden. Medienschaffende kritisieren, dass sie damit vollständig vom Informationsfluss ausgeschlossen würden und die Transparenz verloren geht. Scheinbar hat der Bundesrat aus den Korruptionsfällen bei der IT-Beschaffung der vergangenen Jahren keine Lehren gezogen. Adrian Lobsiger, eidg. Datenschutz- und Öffentlichkeitsbeauftragter, sieht in den neuen Bestimmungen eine Trotzhaltung, da der Schutz von Drittinteressen im Öffentlichkeitsgesetz ausdrücklich erwähnt ist und das Gesetz zudem erst zum Tragen kommt, wenn ein Geschäft abgeschlossen ist.
Aus Sicht von CH Open werden damit grosse, ausländische IT-Anbieter noch mehr bevorzugt. Die Idee geheimer Vertragsbestandteile und geheimer Diskussionen findet sich primär bei grossen amerikanischen Herstellern, meint Matthias Günter, Präsident CH Open . Die Tatsache, dass diese Sonderwünsche ins Gesetz aufgenommen werden sollen und vor der Öffentlichkeit versteckt, zeige deutlich, für wen Beschaffungen erleichtert werden sollen. Dabei gibt es in den Verträgen durchaus Elemente, die in der Öffentlichkeit thematisiert werden können (Abnahmegarantien, Auditierung). Es würde sich auch zeigen, von welchen Herstellern die Verwaltung abhängig ist. Günter sieht auch nicht genügend Aspekte in der Revision, wie die Beschaffung für Schweizer KMU einfacher werden soll. Beschaffungen sind heute für die Verwaltung und die Firmen tendenziell zu teuer. Hier müsste das Gesetz ansetzen.
Noch mehr freihändige Vergaben?
Obschon heute bereits rund 50% der Aufträge über dem Schwellenwert für eine öffentliche Ausschreibung freihändig vergeben werden (Quelle: www.beschaffungsstatistik.ch), soll der Spielraum für Freihandvergaben noch erweitert werden: So könnten neu “erhebliche Schwierigkeiten” bei einer Migration oder “substantielle Mehrkosten” für eine Ablösung gegen eine Ausschreibung sprechen.
“Der Einbau einer neuen grossen IT-Lösung ist immer mit Schwierigkeiten verbunden, der Wechsel eines Anbieters ebenso. Mit dem Feigenblatt der ‘erheblichen’ Schwierigkeiten wird es für keine grössere Anwendung in der Verwaltung je wieder etwas anderes als einen Freihänder geben”, ist Matthias Günter überzeugt: “Die Verwaltung wäre dumm, das zu machen, wenn sie auch nur halbwegs zufrieden ist. Nur spielt dann nie mehr der Markt und es gibt auch nie eine bessere Lösung.”
CH Open sieht hier eine mögliche Wettbewerbsverzerrung: Potenzielle Anbieter können sich nach der Publikation einer freihändigen Vergabe nur noch sehr schwer wehren, da der Ausschreibungsgegenstand in diesen Fällen nicht klar umrissen ist. Weiter besteht die Gefahr, dass fehlgeleitete Projekte mit der Begründung, getätigte “Investitionen zu schützen” bis zum bitteren Ende weitergezogen und Abhängigkeiten von Firmen wie Microsoft und Oracle zementiert werden.
Fazit und Forderungen von CH Open
Digital nachhaltige IT-Beschaffungen erfordern unter anderem, dass der Wettbewerb zwischen den Anbietern spielt, herstellerneutrale Ausschreibungen stattfinden und Transparenz über die Aufträge mittels Öffentlichkeitsgesetz und Zuschlagslisten gewährleistet wird. Diese Kriterien werden durch das neue BöB nicht oder nur teilweise erfüllt.
Die Chance wird verpasst, im Beschaffungswesen die Effizienz und Effektivität zu erhöhen. Der Aufwand für Firmen und Verwaltung muss verkleinert werden. Eine einfache Beschaffung darf volkswirtschaftlich nicht Hunderttausende von Franken kosten. Das Gesetz ist in dieser Hinsicht kein Fortschritt, sondern ein Rückschritt.
Mit der zunehmenden Digitalisierung wird eine moderne, föderale und interoperable IT-Architektur essenziell für das Miteinander von Wirtschaft und Verwaltung. Damit können Projekte nach aktueller Methodik (agil und kollaborativ) umgesetzt werden. Diese Punkte müssen unabhängig des BöB angegangen werden.
Um die Interessen ihrer Mitglieder und der Schweizer Steuerzahler zu schützen, prüft CH Open die Möglichkeit einer generellen Verbandsbeschwerde bei freihändigen Vergaben. Weiter werden wir mit unseren Engagements wie der IT-Beschaffungskonferenz Plattformen bieten, um den Austausch zwischen KMU und der öffentlichen Verwaltung zu fördern. Zudem fordern wir weiterhin flankierende Massnahmen wie die Veröffentlichung des Sourcecodes von öffentlich finanzierten Projekten und das Einfliessen der Kosten für eine Ablösung von proprietären Lösungen in die TCO-Betrachtung und Bewertung einer Beschaffung.
Kontaktperson
Dr. Matthias Günter
Präsident CH Open
matthias.guenter@ch-open.ch
+41 79 457 13 22
[1] Video-Aufzeichnung des Open Hearings unter https://youtu.be/1NDKM0AWXUE abrufbar.